Anna-Lena Wenzel

Dr. Anna-Lena Wenzel* ist Autorin und Künstlerin. Nach ihrem Studium der Angewandten Kulturwissenschaften in Lüneburg promovierte sie über „Grenzüberschreitungen in der Gegenwartskunst“. Sie betreibt das Online-Magazin 99 % Urban und den Radiosalon für Alltägliches und ist in unterschiedlichen kollektiven Zusammenhängen unterwegs.

Zahlenspiele – Wie sich mit Zahlen Politik machen lässt

27.04.2018
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Wie viel Geld verdienen Künstler*innen in Berlin? Wie hoch sind die Ausgaben für Ateliermieten? Und welche Rentenerwartungen haben Künstler*innen? Am 24. April 2018 wurden die Ergebnisse einer Umfrage zur Situation der Künstler*innen in Berlin vorgestellt.

Wie viel Geld verdienen Künstler*innen in Berlin? Wie hoch sind die Ausgaben für Ateliermieten? Und welche Rentenerwartungen haben Künstler*innen? Am 24. April 2018 wurden die Ergebnisse einer Umfrage zur Situation der Künstler*innen in Berlin vorgestellt. Die Studie wurde vom Institut für Strategieentwicklung (IFSE) in Kooperation mit dem Berufsverband Bildender Künstler*innen Berlin (bbk berlin) durchgeführt. 1.745 Künstler*innen wurden mithilfe eines online-Fragebogen zu ihrer Situation befragt. Geht man von einer Zahl von ca. 8.000 in Berlin lebenden Künstler*innen aus, bieten die Zahlen durchaus eine belastbare Grundlage, wie Hergen Wöbken, der Geschäftsführer vom IFSE, auf der Pressekonferenz bemerkte.

Einige prägnante Zahlen seien hier vorgestellt: Für 80 % ist die künstlerische Arbeit ein Verlustgeschäft. Insgesamt bezieht nur jede zehnte Künstler*in ihr gesamtes Jahreseinkommen aus der künstlerischen Arbeit. Das durchschnittliche Jahreseinkommen liegt bei etwa 20.000 Euro, wobei nur 9.600 Euro durch die künstlerische Arbeit als Einkommen generiert werden. Da wundert es nicht, dass 90 % der Künstler*innen später nicht von ihrer Rente leben können. Die durchschnittliche Rentenerwartung der Künstler*innen liegt bei 357 Euro, wobei über die Hälfte aller Künstler*innen weniger als 280 Euro erwarten.

Die statistischen Zahlen lassen sich noch auf andere Weise auswerten: Was bei der Studie eklatant wurde, ist die Benachteiligung von Frauen – in Form des Gender Pay Gap (29 %), aber auch der geringeren Anzahl von Frauen, die ausgestellt und gefördert werden oder bereits eine Arbeit an die öffentliche Hand verkauft haben. Auch in Bezug auf die Familiensituation zeigen sich Ungleichheiten: 70 % der Frauen haben eine berufliche Benachteiligung aufgrund ihrer familiären Situation erlebt, während es nur 25 % der Männer waren. Was bei der Studie zudem abgefragt worden ist, ist sexualisierter Machtmissbrauch. In den Ergebnissen zeigt sich, dass auch das Kunstfeld ein mit Macht durchzogener Bereich ist, in dem 31 % der Frauen und 9% der Männer schon einmal sexualisierte Belästigung (von anzüglichen Bemerkungen bis hin zu eindeutigen sexuellen Übergriffen) erlebt haben.

Was lässt sich aus diesen Zahlen folgern? Auf der Pressekonferenz wird darauf hingewiesen, dass man angesichts dieser Zahlen beim Kunstschaffen eher von einem Ehrenamt sprechen müsste als von einer Tätigkeit, die ein stetiges Einkommen (sowie Rente) generiert. Folgt man dieser Argumentation, bedarf es einer anderen Wertschätzung und Förderstruktur. Die Anerkennung der künstlerischen Arbeit durch Ausstellungshonorare ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Dazu passend merkte Hergen Wöbken zu Beginn der Präsentation der Studienergebnisse an, dass Berlin nach New York der zweitwichtigste Kunstproduktionsstandort weltweit sei. Kunst bzw. die Kunstproduktion ist ein Schatz der Stadt. Um diese besser zu fördern, helfe auch der Blick nach New York: dort wurde ein Kulturentwicklungsplan entwickelt, der eine langfristige Verständigung über Bedarf und Möglichkeiten der Kulturpolitik gewährleistet.

Eine Verständigung über die Frage, wie Zahlen für die Kunst und Kulturförderung nutzbar gemacht werden können, gab es auch beim letzten Salon des Frühstücksfernsehens [1]. Zu Gast waren Dr. Ute Müller-Tischler (Fachbereichsleiterin für Kunst und Kultur des Bezirksamts Mitte) und Christoph Backes (Geschäftsführer und Vorstand des u-instituts und Projektleiter des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes), die ihre Einschätzung der Lage kundtaten. Christoph Backes, der die Schnittstelle von Kreativen und Wirtschaft abdeckt, benennt ganz klar, dass man Zahlen zur Legitimation brauche, weil es eine unglaubliche Zahlengläubigkeit gebe. Entscheidend sei für ihn die Frage: Was wollen wir mit den Zahlen? Seiner Meinung nach helfen sie, um das Potential der Kreativen deutlich zu machen und einen Überblick zu bieten: „Was oftmals fehlt, ist der Adressat der Zahlen. Was wir den Kreativen im Wettbewerb der Kreativpiloten oder in unseren Coachings beibringen, ist ein selbstbewusster Umgang mit ihnen – sie sollen sich nicht unter Wert verkaufen. Es muss deutlich werden, dass man ein attraktiver Partner ist und eine Chance verkörpert. Wir müssen versuchen, anschlussfähig zu sein und Allianzen bilden.“

Ute Müller-Tischler ergänzt, dass es ihr wichtig sei, Kultur nicht nur der Verwertbarkeit halber zu fördern: „Die positive Einschätzung von Kunst und Kultur ist da und wird durch Förderprogramme auch angewendet. Wir brauchen die Zahlen, um darstellen zu können, was machbar ist, aber wir brauchen auch die Forschungssituation und einen Freiraum, wofür man versuchen sollte, die Rahmenbedingungen herzustellen. Das zu fördern, ist mir total wichtig.“ Ihr zufolge sind Zahlen „eine Möglichkeit in vielen Bereichen einen Fuß in die Tür zu bekommen, sich verständlich und hörbar zu machen und darauf hinzuweisen, dass Kunst und Kultur Faktoren sind, die für das Gemeinwesen viel Potential hat.“

Zahlen sind ein wichtiges Werkzeug, Notstände zu benennen, konkreten Handlungsbedarf anzumahnen, aber auch um Rahmenbedingungen zu entwickeln. Zu wünschen bleibt, dass auch über die Arbeitssituation in den anderen Künsten solche Studien in Auftrag gegeben werden und für alle Künste übergreifend nach Lösungen gesucht wird.

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